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Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins (Milan Kundera)
Jeder kann sein Leben komponieren wie Musik! Milan Kunderas Botschaft war süßer Trost in bleiernen Zeiten. (von Thomas E. Schmidt)
Die ersten Kilometer hinter Tallinn radeln sich schnell. Auf einem Radweg geht es vorbei am estnischen Freilichtmuseum „Rocca al Mare“ bis zum Fernsehturm, dann finde ich den Europäischen Radweg 1 wieder der abseits der Schnellstraße E20 führt. Die ersten beiden Nächte werden auf einem freien Platz der RKM verbracht. Die Estländer denen ich begegne sind zuvorkommend und nett, aber sehr zurück haltend. Sie holen sogar ihre Katzen vom Hof rein, damit sie mich nachts nicht belästigen. Ein weiterer Kontakt kommt leider nicht zustande.
Letzte Nacht habe ich für 12 € in einem behinderten gerechten Pflegeheim in Kundera verbracht. Ich schiebe mein Fahrrad samt Gepäck über die Rollstuhlrampe in das Appartement. Ich habe das Gefühl im Ort Gesprächsstoff Nummer eins zu sein. Ein Nachbar klingelt und erklärt mir in englisch das seine Batterien der Fernbedienung des Fernsehers leer sind und möchte darüber mit mir in Kontakt kommen. Leider bin ich zu müde um näher darauf einzugehen.
Heute Morgen sieht der Himmel mehr als schwarz aus. Es stürmt und regnet heftig. Im Supermarkt der täglich von 8 – 23 Uhr geöffnet hat versorge ich mich mit Vorrat. Stopfe die Lenkertasche voll Schokolade und die Jackentaschen voller Gummibären, dann hülle ich mich in die volle Gore-tex Montur nebst Schuhüberzieher und dicken Windstopperhandschuhen und Paulchen in eine Einkaufstüte. Wir versuchen gegen den Wind zu kämpfen und unser Tageslimit zu schaffen. So viel Süßes kann ich gar nicht essen wie das Wetter schlecht ist Aber zum Glück habe ich dank Gunter auf dem Handy das Känguru-Manifest und die Känguru-Chroniken von Marc-Uwe Kling. Das höre ich beim Fahren immer und immer wieder. Es hilft gegen den Trübsinn. Jetzt heißt es einfach nur „durchhalten“. In sechs Tagen möchten wir in Sankt Petersburg sein. Die Wetterprognose verspricht jedoch nichts gutes:
Tallinn + Begegnung am Wegesrand
Die letzten Kilometer vor Tallinn werden die „schwersten“. Ich starte von einem Platz des RMK und muss mein Zelt nass einpacken. Die elektronische Anzeige in Keila macht es deutlich: 6 Grad werden um 11:25 Uhr gemessen. Auf der Fernverkehrsstraße 8 kämpfe ich gegen den starken Gegenwind. Ich pflücke noch einen Strauß von den schönen „Wildblumen“ auf der Wiese, denn ich möchte nicht mit leeren Händen bei Aino in Tallinn ankommen. Ich stehe vor der Haustür und werde freudig erwartet.
Tallinn eine wunderschöne Stadt:
Wir machen diese unsicher und genießen den Tag in der Stadt. Das Wetter ist uns gnädig. Als erstes erstürmen wir die Burg. Aino zeigt mir das Wohnhaus, wo sie als Kind gewohnt hat. Dann erledige ich meine Post in einer alten Filiale mit viel positiver Energie. Dann durchschlendern wir die alten Gassen, lassen uns kulinarisch verwöhnen, mit einer Mini-Eisenbahn durch die Altstadt fahren und für ein paar Münzen die „Puppen“ tanzen. Zum Schluss entführt mich Aino in ihren Lieblingspark.
Der Abschied fällt schwer Ich habe beste mütterliche Gastfreundschaft erfahren. Danke dir Aino
Wir sehen uns sicher einmal wieder. Vielleicht nächstes Jahr in Dresden?
Begegnung am Wegesrand
Durch eine Stadt zu radeln ist für mich immer ein kraus. Ehe man da endlich raus ist … Ich stehe an der Kreuzung und will mich orientieren, da kommt ein alter Mann an zwei Stöcken schlürfend auf mich zu und fragt mich etwas. Ich sage nur „Nemetski“ und er „ah deutsch“ und „Lust auf einen Kaffee?“
So lande ich schließlich in der Hauptbibliothek auf einen Kaffee mit Juhan. Er ist 82 Jahre alt, hatte in der Schule deutsch und entschuldigt sich, dass er so schlecht deutsch spricht, weil er wenig Praxis hat. Er erzählt mir, dass es in St. Petersburg schöne Mädchen gibt und schreibt mir seine Adresse und Telefonnummer auf die Serviette. Das war wohl das Einzige für ihn Wichtige was ihm dazu einfiel. Zum Abschied streicht er mir zärtlich über die Stirn, küsst mich auf die Wange und meint ich sei eine schöne junge Frau. Dann schlürft er den Bibliotheksgang entlang, denn er schreibt gerade an seinen Memoiren. Wie beflügelt radel ich weiter der Sonne entgegen.