Kategorie-Archiv: Berichte

Hier kommen alle Berichte rein

Ein Land im Spagat zwischen Tradition und Moderne

Der Weg zurück von den heißen Quellen nach Tzenkher war sehr anstrengend und weit mit dem schweren Gepäck und ich war in der Steppe den Wetterkapriolen vollkommen ausgesetzt. Jeder Nomade der vorbei kam hielt an und fragte nach dem Weg. Zwei Mal kam sogar ein Einheimischer vorbei und bot mir ein Pferd an. Hier läuft NIEMAND! Ein Pferd ist das Mindeste an Fortbewegungsmittel. An der Bushaltestelle angekommen, musste ich feststellen, dass es kein Zimmer im Ort zum Übernachten gibt. Und so stellte ich im Regen mein Zelt direkt neben der Straße auf, wo morgens der Bus nach UB vorbei kommen sollte. Es regnete noch die ganze Nacht. Was bin ich glücklich, mein eigenes „Haus“ dabei zu haben. In UB angekommen bezog ich Quartier im UB Guesthouse. Hier konnte ich mein Zelt auf dem Balkon trocknen und den Waschservice nutzen. Am Abend gab es das Lichterfest zu Buddha´s birthday im Naadam Stadion. Eigentlich wollte ich fünf Tage im Terelj NP wandern gehen. Aber irgendwie habe ich zu sehr gefroren in der kältesten Hauptstadt der Welt und mir eine ordentliche Erkältung zugezogen, so dass ich beschloss, in UB zu bleiben, um wieder gesund zu werden für die nächste richtige Trekkingtour in Kamtschatka. In UB kann man so viele geschichtsträchtige Orte und Museen besuchen, dass es einem nicht langweilig wird. Im Gandan Kloster traf ich dann noch Viola aus Karlsruhe, so dass es ein gemeinsames „abhaken“ der Sehenswürdigkeiten wurde.

Lichterfest zu Buddha´s Geburtstag

Der Tag an dem Buddha zur Erleuchtung kam und das Nirvana erreichte ist der 25. Mai. Zu diesem Anlass gab es am 6. Juni ein Lichterfest im Naadam Stadion in UB. Es wurden nach der Zeremonie der Mönche Butter- und Papierlampen angezündet und mit einem Wunsch in den Himmel gelassen. Hoffen wir, dass sie alle in Erfüllung gehen.

Das Gandan Kloster

Gandan ist das grösste und bedeutendste Kloster der Mongolei und eins der interessantesten Sehenswürdigkeiten in UB. Es wurde 1727 gegründet und diente während der kommunistischen Zeit als „Vorzeigekloster“, in dem religiöse Zeremonien unter der Kontrolle der Geheimpolizei stattfinden durften. Heute leben wieder über 600 Mönche im Kloster. Im größten Gebäude befindet sich die 26 Meter hohe Statue der Göttin Janraisig, für die das Kloster berühmt ist. 1938 hatten sowjetische Truppen die Statue demontiert und eingeschmolzen. Die buddhistische Gemeinde ließ 1996 mit umgerechnet fünf Millionen Dollar Spenden eine neue vergoldete Statue errichten. Für den buddhistischen Oberhaupt den Dalai Lama wurde ein Thronsessel neu erbaut. Ob er darin je gesessen hat, ist mir unbekannt.

Zaisan Monument

Zaisan ist eine Gedenkstätte mit der ewigen Flamme des Friedens (brennt aber heute nicht mehr), welche an die im Zweiten Weltkrieg gefallenen Sowjetsoldaten erinnern soll. In einem Rundbau stellen verschiedene Wandgemälde Szenen der Freundschaft zwischen den Völkern der UdSSR und der Mongolei dar, beispielsweise die sowjetische Unterstützung für die Unabhängigkeit der Mongolei 1921, die Niederlage der japanischen Kwantung Armee am Chalch Fluss, den Sieg über Nazi Deutschland und Errungenschaften der Friedenszeit wie die russische Raumfahrt. Nach Russland war die Mongolei das zweite sozialistische Land der Welt.

Steigt man zum Monument hinauf, wird man mit einem Rundblick auf UB entschädigt.

Die Treppe hinab befindet sich ein Panzer, der vom mongolischen Volk einer russischen Brigade gespendet worden war. Auf einer Karte kann man den Weg des Panzers von Moskau bis Berlin (wo er auch gewesen sein soll) nachvollziehen.

Bogd Khan Palast

Auf unserem Rückweg lag noch der Palast des 8. und letzten Bogd Khan, dem religiösen Oberhaupt des Buddhismus in der Mongolei. Der erste war Zanabazar, ein direkter Nachfahre von Chinggis Khaan, die letzten sechs kamen aus Tibet. Nach seinem Tod 1924 verbot die kommunistische Regierung der Mongolei die Suche nach einem Nachfolger. Fotografieren war leider verboten.

Terelj NP + Chinggis Khaan Statue Complex

Das UB Guesthouse bot einen Ausflug in den Terelj NP an und so konnte ich doch noch die schöne Landschaft direkt vor den Toren Ulaanbaatars genießen.

Einen lohnenden Autostop legten wir noch am Reiterstandbild des Chinggis Khaan ein. Es ist eine 40 Meter hohe Statue von ihm zu Pferd mit Aussichtsplattform, von wo aus man einen schönen Panoramablick hat. Im Gebäude befindet sich ein Museum mit Ausstellungen über die Bronzezeit und archäologische Kulturen in der Mongolei.

Nationalmuseum

Das Nationalmuseum zählt zu den bedeutendsten Museen der Stadt. Von der Ur- und Frühgeschichte über Chinggis Khaan und seine Erben bis hin zur jüngsten Vergangenheit der Mongolei beherbergt das Museum viele beachtenswerte Exponate.

Sukhbaatar Platz + The Blue Sky Tower

Der Sukhbaatar Platz ist der größte der Stadt. Hier begann 1990 der demokratische Aufbruch mit Hungerstreiks, die zum Zusammenbruch des Regimes beitrugen. An der Frontseite dominiert das Regierungs- und Parlamentsgebäude wo die Statuen von Chinggis Khaan in der Mitte und rechts und links jeweils die seines dritten Sohnes und die des Enkels seines vierten Sohnes thronen. Genau gegenüber überragt der The Blue Sky Tower die Stadt, wo man in der obersten Etage im Restaurant einen super Überblick hat und einen schönen Sonnenuntergang bei gepflegten Speisen und Getränken genießen kann.

„The fountain of Bakhchisarai“ by Asafev

Gemeinsam besuchen wir ein Ballettstück in der Oper am Sukhbaatar Platz. “Der Brunnen von Bakhchisarai“ ist ein russisches Ballettstück nach einem Gedicht von Alexander Puschkin aus dem Jahr 1823. Die Musik schrieb Boris Asafev und die Choreographie Rostislav Zakharov. Das Stück handelt von dem tatarischen Khan Girey Skala der den Palast eines polnischen Edelmannes überfällt, alle Männer umbringt und die Frauen als Pfand mit in sein Harem nimmt. Er ist unsterblich in die schöne Maria verliebt. Diese weist ihn jedoch zurück. Seine Haremsfrau Zarema bekommt seine Verliebtheit in die neue Frau zu spüren, der Khan lehnt sie ab. In ihrer Eifersucht tötet sie des nachts die schöne Maria, der Khan erwischt sie auf frischer Tat und lässt Zarema töten. Er sitzt am Brunnen, den er für Maria erbauen lies. Der Palast wurde ursprünglich im sechzehnten Jahrhundert gebaut und steht auf der Krim, in der Nähe Jalta. Den Brunnen soll es immer noch im Hof des Palastes geben. Er heißt Fountain of Tears.

Zanabazar Museum der bildenden Kunst

Zanabazar war das erste religiöse Oberhaupt des Lamaismus in der Mongolei. Er war zu seiner Zeit ein hoch begabter Gelehrter und Bildhauer. Er ist vor allem durch seine Bildhauerkunst und durch die Schaffung des Sojombo Alphabetes in die Geschichte eingegangen. Das Museums für bildende Künste stellt viele seiner Gemälden, Schnitzereien und Skulpturen aus. Schön zu betrachten sind sehr seltene und alte religiöse Thangka (Gemälde) und buddhistische Statuen. Die Bilder One Day in der Mongolei und das Airag Fest gehören mit zu den schönsten und zeigen fast jeden Aspekt des Nomadenlebens. Wenn man das Gebäude betritt werden im ersten Raum alte Kunst ausgestellt wie Hirschsteine aus der Bronzezeit. Das Museum verkauft ebenso Souvenirs bedruckt mit der schönen zeitgenössischen Kunst. Das Gebäude selbst stammt aus der Manchu Zeit, wurde zuerst als eine chinesische Bank verwendet, in den 1920er Jahren blieben sowjetische Truppen hier und später beherbergte es das Außenministerium der Mongolei.

Choijin Lama Tempel

Der Coijin Lama Tempel ist ein klassisches Beispiel der mongolischen traditionellen buddhistischen Architektur und wurde in den Jahren 1904 – 1908 erbaut. Dieser war der einstige Sitz des Staatsorakels und Beraters des Bogd Khaan. Bevor wichtige Entscheidungen getroffen wurden, befragte man die Götter. Der Lama rief dabei den Schutzgott Choijin an, den Schutzgott der Religion. Im Jahre 1918 erwachte er allerdings nicht mehr aus seiner  Trance. In den Tempeln kann man die vielen Tsam Masken und Reliquien des traditionellen religiösen Maskentanzes betrachten. Im Haupttempel ist eine Mumie des Lehrers des Choijin Lamas zu sehen.

Ein Land im Spagat zwischen Tradition und Moderne

Wir schlendern über den Sukhbaatar Platz und beobachten das Treiben. Da kommt ein Mann im traditionellen Deel angelaufen und neben ihm eine Frau in moderner Kleidung und hohen Absatzschuhen. Ich finde es toll, dass beides täglich gelebt wird: Tradition und Moderne.

Außerdem staune ich nicht schlecht, als ich gleich neben meinem Guesthouse ein veganes Restaurant entdecke und dann noch mehr, als ich sah, dass die Tische voll mit Einheimischen besetzt sind. Kam doch gerade erst Viola vom Picknick mit Einheimischen zurück und erzählte mir, dass die Mongolen aus UB quasi mit ihrem „Frischfleisch“ im Kofferraum ins Grüne fahren und dort traditionell das Vieh schlachten und zubereiten. Und sie haben es nicht nur gemacht, weil sie einen deutschen Gast betreuen wollten, nein, es war ein ganz normaler Ausflug und Viola war lediglich dazu eingeladen.

Weiterreise nach Osten

Bevor hier in UB die Temperaturen zu heiß werden, reise ich weiter und mache mich auf den Weg nach Osten. Vulkan Trekking in Kamtschatka heißt das nächste Reiseziel und dort sind die Temperaturen für mich viel erträglicher! Doch eh der nächste Bericht bei euch auf dem Bildschirm erscheint, möchte ich schon mal die Einladung zur „Rückkehrparty“ bekannt geben. Denn schon bald hat alles ein Ende, aber die Wurst hat ja bekannterweise zwei.

Bis ganz bald eure Heike

Einladung Rückkehrparty

Einladung Rückkehrparty

Kältekammer mit heißem Hintern

Regierungssitz des größten Weltreiches

Von Ulaanbaatar (UB) aus starte ich mit dem Linienbus in Richtung Zentralmongolei. Nach gut 6 Stunden Fahrt erwartet mich Geya vom gleichnamigen Guesthouse am Busstop in Kharkhorin (Karakorum). Ich beziehe ein Ger im Camp und lasse es mir in der wärmenden Sonne gut gehen. Dieser kleine Ort mit seinen 8000 Einwohnern liegt ca. 320 Kilometer westlich von UB und zählt zum UNESCO-Welterbe. Hier befand sich vor mehreren hundert Jahren ein politisches Zentrum weiter Teile Zentralasiens. Der Grundstein des alten Karakorum wurde schon im 8. Jahrhundert während der Uigurenzeit gelegt. Während der Herrschaft Chingghis Khaans sollte hier seine Hauptstadt entstehen. Allerdings wurde damals die neue Stadt erst nach seinem Tod errichtet. Schon sein Enkel Kublai Khan verlegte den Regierungssitz dann in das heutige Peking. Später wurde die Stadt von den Manchuren zerstört. Zu den wenigen übrig gebliebenen Spuren zählen einige Schildkröten Skulpturen aus Stein.

200 Jahre nach seinem Untergang begann die zweite Blüte von Karakorum als Sitz des Klosters Erdene Zuu (Hundert Schätze). Es wurde 1586 als das erste buddhistische Kloster der Mongolei gegründet. Zu seinen Glanzzeiten beherbergte es über 1000 Mönche. Zusammen mit Kharkhorin wurde es von den Manchu zerstört und erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts wieder hergestellt. Die zweite Zerstörungswelle brachten die stalinistischen „Säuberungen“ um 1930. Erst nach Etablierung der Demokratie in der Mongolei konnte das Kloster als religiöses Zentrum wieder in Betrieb genommen werden. Der Wiederaufbau ist ein wichtiges nationales Projekt. Das Areal wird von einer grossen Mauer mit 108 Stupas umschlossen.

Wohnsitz des ersten lamaistischen Oberhauptes

Kharkhorin liegt am Fluss Orchon. Das Orchon Tal wurde von der UNESCO 1994 in die Liste der Stätten des Weltkultur- und Naturerbes aufgenommen. Hier befinden sich wichtige historische Stätten die bis ins 4. Jahrhundert und sogar noch weiter reichen. Ich miete mir einen Fahrer und mache zusammen mit ihm einen Tagesausflug durch das schöne Flusstal. Entlang der sanften grünen Hügel entdecke ich beim Vorbeifahren am Felsen ein Adlernest und auf der Wiese gehen die Bewohner spazieren. Tagesziel soll heute das Kloster Tuvkhun sein, was selbst wie ein Adlerhorst im Felsen thront. Doch bevor wir es erreichen, bleibt das Auto in der nassen Wiese stecken :-( Erst nach drei Stunden „Befreiungsaktion“ vom Fahrer kann ich den Ausblick vom Tempel genießen.

Hier lebte, meditierte und entwickelte Öndör Gegeen  Dsanabadsar das erste religiöse Oberhaupt des Lamaismus in der Mongolei 1686 die Schrift sojombo. Sie basiert auf dem Lantsa Devanagari und kann sowohl mongolisch, tibetisch als auch Sanskrit repräsentieren. Da das Sojombo Alphabet eher umständlich zu schreiben und gerade durch seine Exaktheit nicht optimal für die Wiedergabe der unterschiedlichen mongolischen Dialekte geeignet ist, setzte es sich nicht als alltägliche Schrift durch. Sein Anfangssymbol ziert jedoch noch heute die Nationalflagge der Mongolei. Das Sojombo Symbol repräsentiert die Geschichte, Tradition und Unabhängigkeit der Mongolen. Mir wurde berichtet, dass Kinder von der 3. bis zur 5. Klasse lesen und schreiben der traditionellen mongolischen Schrift lernen.

Unterwegs in der Kältekammer

Weiter geht die Fahrt mit dem Linienbus nach Tsetserleg zur Hauptstadt des Bezirkes Arkhangai. Dort quartiere ich mich für zwei Nächte in ein Hotel ein, weil das angeblich so tolle Guesthouse fast das Doppelte kostet! Es ist noch Vorsaison und kaum ein Tourist ist hier unterwegs. So besichtige ich allein das Klostermuseum Zayaiyn Khuree aus dem 16. Jahrhundert mit seinen Felsmalereien, die so tief in den Felsen eingemeißelt und mit Farben ausgemalt wurden, dass trotz mehrfacher Versuche der kommunistischen Machthaber deren Entfernung nicht gelang.

Auf dem lokalen Markt kann man ALLES kaufen, was ein Mongole so braucht: Ger + Zubehör, Motorräder, Tiere lebendig oder geschlachtet, traditionelle mongolische Kleidung und auch alles fürs Pferd. Ein neues Ger inkl. Ofen kostet so um die 1000 Euro. Schade, dass kein Platz im Rucksack ist 😉

Aller zwei Tage fährt der Linienbus weiter bis zum nächsten westlichen Fernziel Tariat. Gemeinsam mit Ana aus Slowenien quartiere ich mich in Tunga´s Guesthouse ein. Wir freuen uns über ein geheiztes Zimmer und staunen nicht schlecht, dass auf den Bergen rings herum noch etwas Schnee liegt. Ana möchte weiter zum Terkhiyn Tsagaan Nuur dem „Weißen See“ laufen und ich buche einen dreitägigen Ausritt rund um den See. Der See liegt auf 2020 Meter Höhe und hat seinen Namen dadurch, weil seine Eisdecke meist bis Mitte Mai noch  geschlossen ist. Zusammen mit dem ältesten Sohn von Tunga (Towscoo, 17) und einem Packpferd geht der Ausritt los. Es weht ein scharfer eiskalter Wind und schnell sind meine Hände und Füße starr vor Kälte. Bei einem Zwischenstopp im Haus einer mongolischen Familie erwärme ich meine Gliedmaßen am Ofen. Mein Pferd kennt den Weg und bleibt an einem Pfahl stehen. Hier ist im Sommer das Ger Camp der Familie. An unserem Tagesziel bauen wir unsere Zelte auf, binden die Pferde fest, entfachen ein Feuer und kochen das Abendessen darauf. Am nächsten Morgen staune ich nicht schlecht, als ich aus dem Zelt schaue. In der Nacht vom 31. Mai zum 1. Juni hat es geschneit und es liegen rings herum 10 cm Neuschnee. So wird es wohl mit dem Weiterritt nichts werden! Wir packen zusammen und reiten im Schneesturm, der uns waagerecht um die Nase fegt, zurück.

So bin ich also schneller als gedacht wieder im „geheizten“ Quartier. Am nächsten Tag ist der Schnee weg und noch ein Ausritt zum Khorgo Vulkan bei schönem Wetter möglich. Das Reiten auf mongolischen Pferden macht mir Spaß, vorausgesetzt man hat einen komfortablen Ledersattel und keinen mongolischen aus Holz! Auf jedes meiner Bewegung am Zügel wird sofort reagiert und schon eine sanfte Berührung meiner Füße am Bauch startet den „Turbodiesel“ und das Pferd sprintet los, was ich wieder mit dem Zügel zum Halten bringe. Mit der Zeit begreife ich wie Gaspedal und Bremse an meinem Fortbewegungsmittel funktionieren 😉 und kann so entspannter die grandiose Landschaft genießen. Die Familie hat eine Herde von über 40 Tieren. Die Pferde bekommen keine Namen. Sie dienen zum Reiten, zum Melken und als Nahrung.

Krümelmonster mit Disziplin

Ich staune nicht schlecht, als ich vom Fenster aus Radfahrer auf das Guesthouse zukommen sehe. Die französische Familie Nico (39), Annekatrin (35), Noé (8) und Tom (6) möchte mit ihren Kindern durch die Mongolei, über Kasachstan, Kirgistan, China weiter nach Nepal radeln, wo sie 5 Monate in einem Hilfsprojekt mit arbeiten wollen. Blog der französischen Familie

Sie haben ihre Kinder für ein Jahr aus der Schule genommen, den Arbeitsplatz gekündigt, ihr Haus untervermietet und einen Sponsor gefunden. Ein weiteres Vorhaben ist es, in jedem Land mit den Kindern in der Schule in Kontakt zu treten. So besuchen wir gemeinsam mit Tunga die Schule des Ortes, wo 120 Schüler zwischen 7 und 17 unterrichtet werden. Die Familie stellt anhand eines Globusballes ihr Projekt vor und Tunga übersetzt ins mongolische. Dann wird noch ein Becher Song einstudiert und das Treffen mit einem Gruppenfoto gewürdigt.

Einmal gekühltes Bier mit heißem Hintern bitte

Drei Mal wöchentlich fährt auch der Bus von Tariat wieder zurück nach Ulaanbaatar. So können Ana und ich direkt auf dem Hof von Tunga in den Bus einsteigen, weil der Fahrer ihr Schwager ist und der Bus direkt neben dem Ger geparkt wird. In der Hälfte der Strecke steige ich aus, suche mir ein Taxi und fahre weiter zur heißen Quelle von Tzenkher. In dieser Thermalquelle möchte ich badend ein gekühltes Bier genießen, bevor es dann am nächsten Tag 24 Kilometer zu Fuß wieder zurück durch das schöne Tal nach Tzenkher und noch einen Tag später mit dem Linienbus weiter nach Ulaanbaatar geht.

Nomadenstay auf mongolisch

Tuya bietet mir an, wenn ich mehr Zeit habe, könnte ich bei ihren Großeltern leben und mit arbeiten. Sie sind ihr Leben lang schon Nomaden, haben viele Tiere und leben nicht weit vom Ort entfernt. Ich fragte nach dem Preis und buchte bei ihr für sechs Tage Nomadenstay auf mongolisch.

Der Großvater (Schuumei) ist 76, die Großmutter (Szunchaa) 74, sie haben 6 Jungs und 3 Mädchen in ihrem Ger groß gezogen und momentan über 100 Tiere zu versorgen! Ich durfte in ihrem Ger von 1970 wohnen. Sie sind noch im Winterquartier wo ihnen ihre Kinder ein Haus gebaut haben. Nächste Woche ziehen sie ins Sommerlager um. Jeden Tag kommt Besuch vorbei. Die Nachbarn, die Kinder und am Wochenende die Enkel mit Familie, Urenkeln und Freunden zum Helfen auf dem Hof. Wahrscheinlich werden auch die Enkel ihn mal übernehmen. Auch ich bekam jeden Tag Besuch „in meinem Ger“ und war überglücklich genügend eingekauft zu haben, um meine Gäste sobald sie über die Schwelle getreten sind, mit Tee, Kaffee und Süßigkeiten bewirten zu können. Auch sollte man niemals ohne Geschenke eine Nomadenfamilie besuchen. So habe ich den beiden Alten Tee, Süßes und eine Postkarte aus Dresden als Willkommensgruß überreicht.

Ein Ger oder auch Jurte genannt wird immer so aufgestellt, dass die Tür nach Süden zeigt. Aus dieser Richtung nähert man sich ihr auch, damit der Hausherr den Reisenden schon von Weitem sehen kann. Beim Betreten der Jurte sollte man es unbedingt! vermeiden auf die Schwelle zu treten, da die Schutzgeister dadurch aufgeschreckt werden und böse Dämonen das Innere der Jurte erreichen könnten. An der östlichen und der westlichen Seite stehen die beiden Betten. Direkt neben dem Eingang auf der Frauenseite liegt der Küchenteil, gegenüber ist der Platz für Sattel und Zaumzeug. In der Mitte gegenüber der Tür steht ein kleiner Hausaltar, rechts und links davon Truhen, davor steht ein kleiner Tisch und Stühle und in der Mitte der Ofen. Traditionell ist die Sitzordnung streng geregelt. Im Osten – unter dem Schutz der Sonne – sitzen die Frauen und auf der westlichen Seite – unter dem Schutz Tenggers, des Gottes des ewigen Himmels – die Männer. In meiner neuen Unterkunft heize ich den Ofen mit Dung an, schaffe die Asche weg, fülle den Eimer wieder mit getrocknetem Dung auf, fege es täglich durch und gehe sparsam mit jedem Tropfen Wasser um.

Fünf Kälber stehen angebunden auf dem Hof. Sie werden am Tag mit Heu und Wasser versorgt. Die Mütter kommen von selber nach Hause zum Stillen. Kommt die Kuhherde auf den Hof, werden sie mit Getreidemehl und Küchenabfällen zugefüttert. Sind die Mütter fertig mit Stillen, treibe ich sie wieder auf die Weide. Sobald alle Tiere auf der Weide sind, erobern fünf vier Wochen alte Hundebabys den Hof. Ihr ein Jahr alter Bruder passt auf sie auf und spielt mit ihnen. Die Mutter beobachtet alles von ihrem Platz aus. Sie ist angekettet. Der Vater bewacht den Hof und liegt mir ständig zu Füßen, um Kuscheleinheiten einzufordern. Ein riesen großer „Schmusehund“ 😉

Zu den aller schönsten Aufgaben zählt abends die Herausgabe der Ziegenbabys aus dem Kindergarten. Die Mütter kommen auf den Hof, stehen vor dem Tor des Kindergartens an und warten geduldig auf die Herausgabe ihres Babys. Das ist ein Geschrei auf beiden Seiten und eine Wiedersehensfreude die ansteckt. Jede Ziege und das dazu passende Zicklein trägt eine Wiedererkennungsmarke um den Hals, damit auch ja das richtige Baby an die dazu gehörige Mutter verteilt wird. Wenn eins der Zicklein die falsche Mutter ansteuert, verjagt die Ziege das „fremde“ Kind mit ihren Hörnern. Sobald ich ein Zicklein auf dem Arm halte, fängt es auch schon an, an meinem Ohrläppchen zu saugen. Am ersten Abend nehme ich das Zicklein und möchte es zu seiner Mutter bringen. Dabei stolpere ich über die Leine vom Kalb. Das Zicklein entwischt mir, rennt schreiend seiner Mama entgegen und die Großmutter und Hurle (ein Sohn der ein paar Tage seinen Eltern hilft) schütten sich aus vor Lachen. Ein paar Tage später rennen mir manche Mütter hinter her, weil ich sehr nach Ziegenbaby rieche oder die Zicklein rennen mir hinter her, weil meine Sachen nach ihren Müttern vom täglichen Ausbürsten der Kaschmir Ziegen stinken. Mir persönlich gefallen die Kaschmir Ziegen immer besser: Sie sind sehr neugierig und lieb, sie beißen nicht, schlagen nicht mit den Hufen aus, eine gibt mir sogar „Pfötchen“ und streckt mir ihre linke Vorderhufe entgegen 😉 und sie sind lernfähig – man kann sie dressieren. Am Abend wenn die gesamte Herde von Schafen und Ziegen mit ihren Babys auf dem Hof sind und ein paar sich zu weit entfernen, ruft Hurle oder die Großmutter sie wieder zurück. Und ich staune nicht schlecht, dass sie darauf hören und wieder umdrehen. Sie sollen des nachts zusammen auf dem Hof bleiben. Die Hunde halten in der Dunkelheit die Herde zusammen. Am zweiten und vierten Abend kam jeweils ein neues Zicklein zur Welt. Viele der Ziegenbabys haben Schnupfen und verklebte Augen und werden mit Augentropfen versorgt. Manche bekommen einen Löffel Medizin oder werden mit der Flasche gefüttert.

Am Morgen werden sie in den Viehstand getrieben und wir sammeln alle jungen Ziegen und Schafe wieder ein. Dabei stehen die Schafbabys meist von selbst vor der Kindergartenluke. Manche Ziegenmutti steht blökend vor dem Zaun vom Kindergarten. Wenn alle Babys eingesammelt sind, wird die Herde auf die Weide getrieben und wir reinigen den Viehstand vom Mist oder sammeln den Kuhdung vom Hof, der getrocknet und zum Heizen verwendet wird. Gern helfe ich der Großmutter mit, das Futter für die Tiere vorzubereiten oder im Küchenger zu kochen. Hauptnahrungsmittel ist Hammelfleisch. Wobei immer nur alte Tiere geschlachtet werden. Das Fleisch wird getrocknet, um es so haltbar zu machen, denn einen Kühlschrank, geschweige denn Kühltruhe gibt es überhaupt nicht. Sie hatten bis vor kurzem nicht einmal Strom. Erst seit einem Jahr – am neuen Haus – gibt es Sonnenkollektoren und somit Fernsehen und andere Begehrlichkeiten. Das Trockenfleisch wird abends vom Knochen geschabt, zerstanzt und in Wasser eingeweicht. Für die Mahlzeiten werden frischer Weißkohl, Kartoffeln, Möhren, Zwiebeln und Knoblauch klein geschnitten, in heißem Öl angebraten, mit Wasser aufgefüllt, das Fleisch und vorgekochter Reis oder selbst gemachte Nudeln hinzugegeben. Fertig ist die gehaltvolle Hammelfleisch-Gemüse-Nudel-Suppe. Aber ich helfe ihr auch bei der Zubereitung der traditionellen Buuds und Chuuschuur Teigtaschen. Gekocht wird auf dem Ofen. Dafür wird der Deckel abgenommen und ein großer Wok darauf gestellt. Gearbeitet wird im Knien auf dem Boden.

Am Wochenende wird es voll im Ger und im Haus. Die Enkel mit ihren Familien und Urenkeln sowie deren Freunde kommen zum Helfen aufs Land. Den Kaschmir Ziegen wird jetzt im Frühjahr das feine und weiche Winterfell (Unterfell) heraus gekämmt. Für 1 Kilo Kaschmirwolle gibt es 50.000 MNT auf dem Markt. Ich bilde mit Hurle ein Team und wir kämmen zusammen täglich sieben Kaschmir Ziegen aus. Dafür wird die Ziege an den Hinterläufen und den Hörnern mit Strick angebunden. Mit grobzinkigen Kämmen wird die Unterwolle heraus gekämmt. Die Ziegen schreien wie am Spieß. Es muss ihnen ganz schön weh tun. Es ist ja auch kein Wunder wenn man sich über mehrere Monate nicht gekämmt hat 😉 Auch haben sie oftmals riesen große Zecken im Fell und ich bin sehr erstaunt, solche Parasiten in der Wüste Gobi anzutreffen.

Nach getaner Arbeit wird die Verwandtschaft mit Frischfleisch entlohnt. Es werden zwei alte Hammel geschlachtet. Im Sommer kommen die Enkelkinder über mehrere Monate zum Helfen. Von Juni bis Ende August sind Schulferien in der Mongolei. Dem Großvater seine Aufgabe ist es u.a. mit dem Motorrad aller drei Tage Wasser in Kanistern zu holen, täglich nach dem Vieh zu schauen und die Pferde auf den Hof zu treiben, wo sie mit Mineralien versorgt werden. Am Sonntag Nachmittag laufen Hurle und ich zum nächsten Owoo, umrunden diesen drei Mal und legen Geschenke auf den Haufen, um die Götter gut zu stimmen. Owoo oder auch Obo ist ein tibetischer Steinhaufen, der zu lamaistischen kultischen Zwecken zusammengetragen und mit bunten Tuchstreifen in der Mitte verziert wird.

Die Großmutter hat Arthrose in den Knien von der schweren körperlichen Arbeit, die alle kniend auf dem Fußboden erledigt werden. Ich verwöhne sie täglich mit meiner Creme und Massage und zeige ihr eine Entspannungshaltung im Liegen. Dafür kocht sie mir frische Ziegenmilch mit Rosinen, Honig und Butter zum Trinken. Sie soll meinen Husten und Schnupfen lindern, der mich hier in der Wüste Gobi erwischt hat. Ihr überlasse ich meine Elefantenkette aus Kokosnuss, weil sie ihr so gut gefällt und dem Großvater mein Fernglas, damit er bei seiner täglichen Arbeit alles im Blick hat. Am letzten Tag zeigen sie mir stolz ihre traditionelle Kleidung und lassen sich gerne im mongolischen Mantel dem „Deel“ ablichten. Er wird seit mehreren Jahrhunderten über der Kleidung getragen, besitzt in der Regel keine Taschen und ist meist aus Baumwolle, Filz oder Seide gefertigt. Geknöpft wird der Deel am Kragen auf der rechten Seite und ist mit einer Stoff- oder Lederschärpe, dem Bus, zusammen gewickelt. Am Bus können Werkzeuge und andere Dinge des täglichen Bedarfs befestigt werden. Die Schärpe kann bei Männern bis zu sieben Meter lang sein und wird im Uhrzeigersinn um die Hüfte gewickelt. Frauen tragen eine etwa drei Meter lange Schärpe um die Taille.

Eine wunder schöne, aber körperlich sehr anstrengende Zeit geht zu Ende. Die beiden Alten sind mir richtig ans Herz gewachsen. Sie werden bis ans Lebensende so weiter leben. Für mich wird es Zeit weiter zu ziehen. Bei der Verabschiedung bekomme ich ein Paar Schafwollsocken und ein seidenes Kopftuch sowie viele Süßigkeiten geschenkt.

Irgendwo im Nirgendwo war ich dreckig wie noch nie, aber froh.