Meine Nachbarin Annegret erzählte mir von einem Film von ARTE über das Fasten. Darin geht es um eine Langzeitstudie der Russen, die einzigartig ist auf der Welt. Auch das es ein Sanatorium am Ostufer des Baikalsees gibt, die diese Methode des „Gesundwerdens“ seit Jahrzehnten praktiziert. Dieser Film hat mich sehr beeindruckt und ist lohnenswert, sich einmal anzusehen:
Und so dachte ich, wenn ich schon mal in der Gegend bin, möchte ich den Jungbrunnen der Gesundheit im Sanatorium in Goryachinsk selbst erleben. Außerdem habe ich es satt weiter mit diesem „Hüftgold“ herum zu rennen und so viel zu wiegen wie kurz vor der Geburt von Steffi. Mein Trekkingrucksack ist schwer genug und die über 20 Kilo „Übergewicht“ reichen mir, wenn ich sie ab und zu mal auf- und wieder absetzen kann!
Im Hostel „Baikaler“ in Irkutsk hilft mir Zhenja dabei telefonisch heraus zu finden, was ich alles benötige, um im Sanatorium aufgenommen zu werden. Ein privates Labor ist schnell gefunden. Dima begleitet mich als Dolmetscher. Einen Tag später habe ich alle Werte der biochemischen und normalen Blutuntersuchung, Urin, EKG und Ultraschall der Organe in der Tasche. Mit der Einweisung und entsprechenden Diagnose meldet Zhenja mich in Goryachinsk an. Die Ärztin vom Sanatorium fragt, wie die Verständigung vonstattengehen soll. Ich gebe Zhenja und Dima an, die ich mit einer russischen Simkarte anrufen kann. Sie ist einverstanden. Ich darf kommen 😉
Goryachinsk ist bekannt für seine 54 Grad heissen Quellen. Das Sanatorium wurde 1810 gegründet und bietet seit Jahrzehnten das Heilfasten als Therapie für die verschiedensten Erkrankungen an. Es ist wie eine Zeitreise. Man muss ihn schon mögen diesen russischen Nostalgie Charme, ansonsten fühlt man sich hier nicht wohl. Aber die Mitarbeiterinnen geben sich sehr große Mühe und gehen gern auf Extrawünsche ein. Es werden ganz verschiedene Behandlungsmethoden angeboten. Ich wähle das Standardprogramm wie tägliche Arztgespräche und Einläufe, Biochemische, normale Blut- u. Urinuntersuchung, tägl. Sauna u. Massage und Nutzung der Fitneßgeräte. Inklusive Übernachtung und 7 Tage Schonkost habe ich für die 16 Tage Kur nach dem derzeitigen Kurs rund 500 EUR bezahlt. Das sind gegenüber den Einheimischen rund 8 % mehr, die man als Ausländer zahlt. Man kann aber auch einzelne Pakete dazu oder abwählen. Spezialbehandlungen bezahlt man extra. Im Ort haben sich ebenso ein neues tibetisches Heilzentrum etabliert und einige Heilmediziner nieder gelassen. Die man ebenfalls konsultieren kann.
… durchzuhalten um so mehr
Es ist nicht leicht zu fasten, keineswegs!
Ich würde niemanden raten einen Selbsttest im Alleingang zu probieren. Ausgenommen man hat reichlich Erfahrung und kann mit den Veränderungen im Körper umgehen und weiß dann auch noch bei Problemen was zu tun ist. Zu viel passiert bei diesem Umstellungsvorgang. Von großen Vorteil ist es, eine Ärztin in der Nähe zu wissen, die man 24 Stunden erreichen kann, wo man sich auch noch sehr gut aufgehoben fühlt. Sie strahlt Ruhe, Kompetenz, Erfahrung und eine gewisse Altersweisheit aus. Sie ist eine Burjatin und hat wohl schon viele Dienstjahre hinter sich.
Ich wohne mit Olga im Zimmer. Sie ist 38, kommt aus Irkutsk, arbeitet bei der größten Bank Russlands, ist verheiratet und hat einen 18 jährigen Sohn. Leider kann sie kein englisch. So „unterhalten“ wir uns über google translat. Wir tauschen unsere Befindlichkeiten aus und sie hilft mir dabei mich im Sanatorium zurecht zu finden oder Termine für Behandlungen zu reservieren. Abgesehen von zwei Algeriern, die mit einer Dolmetscherin hier sind, bin ich die einzige Ausländerin. Ich bin sehr froh nicht alleine zu sein. Wir beide haben die gleichen Interessen wie Yoga, lesen (kein fernsehen!), spazieren gehen und meditieren. Als sie abfährt, liegen wir uns mit Tränen in den Augen in den Armen. Bei der kleinen Masseurin mit ihren kräftig zupackenden Händen bedanke ich mich mit Tee, Konfekt und einer Ansichtskarte von Dresden für ihre tolle Arbeit. Sie ist schier außer sich vor Freude und kriegt sich fast nicht wieder ein. Hier scheint eine Schachtel Pralinen noch etwas zu bewirken 😉
Wer möchte kann sich auch anderweitig die Zeit vertreiben. Im Gelände befindet sich ein Spielplatz, ein Park mit heißer Quelle und ein Klub mit Bibliothek, ein kleines von Schülern liebevoll gestaltetes Heimatmuseum, Tischtennisplatten und ein Billardtisch sowie ein Kulturraum wo Veranstaltungen wie Tanzabende oder Folkloreabende statt finden. In die nähere Umgebung werden Ausflüge angeboten.
aber zum Schluss geht es viel leichter weiter!
Die Zeit des Fastenbrechens beginnt. Sanft weckt man die Organe am ersten Tag mit 600 ml Brei auf sechs Mahlzeiten verteilt aus ihrem Urlaub. Ganz allmählich steigert man täglich die Essensmenge und damit auch die Kalorien. Dabei isst man hauptsächlich dünne Gemüsesuppe, Buchweizen- oder Haferschleim, gekochtes Gemüse, Back- oder Trockenobst um die Darmtätigkeit anzuregen und trinkt ausschließlich Tee oder Wasser. Jeder Bissen wird dabei 33 Mal gekaut, auch die Suppe! Salz, Zucker, Kaffee, fettige Speisen oder gar Fleisch sind in der ersten Zeit tabu. Mindestens die Hälfte Zeit die man gefastet hat, sollte man danach Diät halten, sonst läuft der Körper Amok!
Im Speisesaal lerne ich Tamara näher kennen. Sie ist zum dritten Mal hier. Muss fasten oder Diät einhalten, weil sie an Arthrose erkrankt und dadurch schmerzfrei ist. Sie ist 55 Jahre alt, Seismologin im Tzunami Center für hydrometrologischen Service und kommt von der Insel Sachalin. Sie freut sich sehr, sich mit mir in englisch unterhalten zu können. Sie reist nur in ihrem eigenen Land und möchte daher bei unseren gemeinsamen Spaziergängen am liebsten alles von mir wissen.
Jetzt packe ich jedoch meine „sieben“ Sachen und ziehe weiter. Zurück mit dem Bus nach Ulan Ude und nächste Woche ins Abenteuer: Mongolei. Dort möchte ich mir ein paar Highlights ansehen und wenn möglich in das Nomenleben eintauchen. Wie ich eine „fettarme“ Ernährung beibehalten kann, in dieser gemüsefreien Zone, weiß ich noch nicht. Hier ist Hammelfleisch das Grundnahrungsmittel und die Eckpfeiler der Diät sind vor allem Fett.
Eins weiß ich jedoch mit Sicherheit: Mit weniger Gewicht weiter zu ziehen, ist das schönste Geschenk, was ich mir in diesem Jahr selbst machen konnte 😉
Anmerkung: Hallo Annegret, ich muss dich leider enttäuschen. Die schicken „Häubchen“ haben die Schwestern nur für den Film auf.