Weg zur Insel Olchon – P-418
Zuerst ging es 18 Kilometer durch die Stadt, aber sonntags morgens hielt sich der Autoverkehr in Grenzen. An einem „Kwass“ Wagen hielt ich an, um etwas zu trinken und erfuhr den allerersten Fremdenhass – ich wurde einfach nicht bedient! Der Gegenverkehr auf der P-418 war extrem und für mich problematisch, alle überholten sie auf meiner Spur und kamen mir entgegen. Die erste Nacht habe ich im Wald wild gezeltet. Sturm + Gewitter tobten um mich herum, aber auf mein Zelt ist Verlass – es hielt stand. Im nächsten Ort habe ich ein buddhistisches Kloster besucht, an der Wasserpumpe im Ort gab es Trinkwasser und die Mittagspause musste ich unter dem Vordach eines Magazins verbringen, weil es regnete. Beim Weiterfahren nahm ich einen Schatten über mir wahr, ein großer Greifvogel sah interessiert auf mich hinab. Die Hochebene bot mir keinen Schutz mehr zum Übernachten, so habe ich an einem Kaffee gefragt, ob ich bleiben darf. Ich durfte mein Zelt zwischen Kaffee und Jurte aufstellen. Das Kaffee wurde von einem jungem Mann und drei Monate alten Hund bewacht. Des nachts verspürte ich Schritte ums Zelt herum und bin davon aufgewacht, aber da war niemand! Bei der Weiterfahrt habe ich erste Bekanntschaft mit wilden Dorfhunden gemacht, die bellend hinter mir her rannten und es auf meine Waden abgesehen hatten. Ich habe sie einfach angeschrien, dann machten sie kehrt. Puh, aber Angst um meine Waden hatte ich schon! Ab dem Abzweig zur Insel Olchon in Bajandai ging es 12 % bergauf der Sonne + dem Ostwind entgegen Die dritte Nacht habe ich wieder wild im Wald gezeltet. Allerdings hat mich morgens ein Mann entdeckt und kam x-mal vorbei. In einem Dorf habe ich nach Trinkwasser gefragt. Ein Mann hat mir welches von seinem gegeben. Ich habe mich mit Bonbons und Luftballons für seine drei Kinder bedankt. Ihm fielen ein paar Wörter in Deutsch ein. Ab der vierten Nacht habe ich beim Schamanen Valentin Chagdajew, Ul. Lenina 28 in Jelanzi geschlafen.
Paulchen in Gefahr
Doch der Räuber wurde gefangen genommen und Paulchen gerettet.
Schamanische Zeremonie
Ich klopfte beim Schamanen Valentin und es öffnete mir Sascha. Er kommt aus Kirgistan, lebt seit 17 Jahren in Deutschland, spricht Deutsch und ist seit vier Stunden hier beim Schamanen als Lehrling. Ich hatte mich die ganze Zeit gefragt, wenn ich einen Schamanen finde, der für mich eine Zeremonie macht, brauche ich noch einen Dolmetscher! ansonsten ist das ganze umsonst, weil ich nichts verstehe und hier vor mir steht die Antwort: „Sascha“. Mein Wunsch ans Universum wurde wieder einmal erfüllt 😉 Wir hatten einen langen Abend gefüllt mit Hunde füttern und Gesprächen. Am nächsten Tag kam der Schamane mit seiner Frau, Sohn und einer Tochter aus Irkutsk zurück. Die Zwillingsschwester seiner beiden kleinen Töchter (5 Jahre) hatte sich auf dem Trampolin das Nasenbein gebrochen und musste noch im Krankenhaus in Irkutsk bleiben. Der Schamane fragte nach meinem Anliegen für die Zeremonie. Als ich sie ihm sagte, hat er laut und herzlich sich ausgeschüttet vor Lachen. Normaler Weise geht man zum Schamanen, wenn man im Leben nicht mehr weiter kommt, keinen Ausweg mehr sieht. Man ruft nicht ohne ernsthaften Grund die Götter herbei. Er hat sich aber trotzdem dazu bereit erklärt, für mich eine Zeremonie zu machen. Wir fuhren noch am selben Tag zu einem Kraftort am Baikalsee wo die Götter wohnen und haben alte Felsmalereien besucht, die Hand aufgelegt, um Verbindung zu unseren Urahnen aufzunehmen. Danach sind wir auf die Insel Olchon ins Hotel „Baikal View“ zum schamanischen Vortrag mitgefahren. Nachts schlief der kleine einjährige Hofkater mit mir im Schlafsack. Am dritten Tag habe ich die Kleine aus dem Kindergarten mit der Mutter zusammen abgeholt. Die Hunde folgten mir auf Schritt und Tritt. In den Kindergarten durften sie aber nicht mit hinein. Die Leute im Dorf fragten mich, ob ich keine Angst vor den Hunden hätte. Die Frau vom Schamanen fragte mich, ob ich keine Angst hätte, so alleine im Wald zu schlafen. Ich erzählte ihr, dass ich Pfefferspray mit habe. Da hat sie sich vor Lachen ausgeschüttet und gefragt: „Was willst du denn damit?“ Am Nachmittag kam ich noch in den Genuss einer Banja und abends fand nur für mich eine schamanische Zeremonie statt. Am nächsten Morgen hat er mir noch aus der Hand gelesen.
Valentin hat mich in sein Herz geschlossen. Ihm gefallen meine warmherzigen Augen, mein offenes Gesicht und er meinte, ich hätte eine reine Seele. Die Götter wissen jetzt mein Anliegen und werden sich beraten. In drei Tagen gibt es eine Antwort. Bis dahin soll ich meine Suppe auslöffeln und die Wodkaflasche bei mir tragen. Am Tag nach der Zeremonie war kein losfahren möglich, da es immer wieder regnete. Ich zog von der Veranda zu Sascha ins Zimmer. Wir kochten, hörten Musik, quatschten und spielten Kniffel. Das zweite kleine Mädchen vom Schamanen wurde aus dem Krankenhaus entlassen. Jetzt hatten wir zwei kleine Teufelchen zu bändigen 😉
Trauer und Schreibblockade
Am Sonntag den 31. August hatte ich morgens alles gepackt und wollte zeitig los fahren. Gemeinsam schossen wir noch ein paar Fotos.
Valentin gab mir seine Visitenkarte, falls ich Probleme haben sollte, wird sie mir weiter helfen. Er ist der bekannteste Schamane in ganz Burjatien – selbst in Wladiwostok arbeitet ein Lehrling von ihm. Die Hunde wichen mir nicht mehr von der Seite. Ich hatte Angst, sie würden mir hinter her rennen. Der Frau vom Schamanen war es egal, sollen sie doch weg gehen. Ich habe noch zwei kleine Kinder zu versorgen und du hast dann zwei Hunde. Sie hat mit 49 noch mal zwei Mädchen (zweieiige Zwillinge) bekommen, insgesamt haben sie vier Kinder, zwei große Jungen und die Zwillinge. Dieses Jahr hatte sie einen Schlaganfall.
Die Hunde leben auf dem Hof, sie dürfen keinen Raum betreten und können tun und lassen was sie wollen. Der Rüde ist wieder umgekehrt. Die Hündin hat mich 20 Kilometer begleitet. Am See zur Rast hat sie nichts von mir angenommen. Sie hat immer wieder versucht kleine „Erdmännchen“ zu fangen, die nur „Hase und Igel“ mit ihr gespielt haben. Am Kilometer 95 gibt es das Kaffee „Tascherani“ dort habe ich aus der Speisekarte für uns Essen bestellt, gemeinsam haben wir zu Mittag gegessen. Ich sitze auf der Treppe vor dem Kaffee und überlege was ich mit ihr mache. Von selbst wäre sie nicht umgekehrt, sie war total auf mich fixiert. Doch Kommandos kennen die Hunde hier nicht, sie verstand auch nicht was ich ihr mitteilen wollte. Sie war auf der anderen Straßenseite wieder auf der Jagd und so glücklich über die neu gewonnene Freiheit. Gerade als ich dachte, die 20 Kilometer zurück zu fahren, sah ich sie in vollem Tempo auf mich zukommen und in dem gleichen Tempo sah ich aber auch einen Kleinbus die Straße entlang fahren. Ich sah wie er sie voll erwischte und zu Tode fuhr. Ich schrie und rannte zur Straße – zu spät – in meinen Armen hauchte ihr Leben aus. Diese Straße ist der Tod, die Russen fahren wie die Bekloppten. Viele Gräber sind am Straßenrand zu sehen. Hunde sind hier nichts wert, dafür wird erst gar nicht gebremst! Ein junges Pärchen hat den Vorfall mit gesehen. Mit dem jungen Mann zusammen haben wir sie im Auto zum Schamanen zurück gefahren. Zu Tode betrübt und in tiefster Trauer um sie, bin ich weiter zur Insel Olchon geradelt. Zum Schreiben war mir bis heute nicht zu Mute.
Insel Olchon
An der Fähre kam mir der „Todesfahrer“ von der Insel entgegen. Ich hatte sein Autokennzeichen abfotografiert, aber Konsequenzen hat es hier keine. Auf den ersten Kilometern schlängelte sich eine lange schwarze Schlange über die Straße. In einer Bucht habe ich pausiert. Wieder auf der Piste (Straße gibt es hier keine mehr) grüßte mich ein Autofahrer und hielt an. Wasja und Mascha aus dem NP Stolby nahmen mich samt Fahrrad und Gepäck 30 Kilometer mit bis Chuschir. Gezeltet habe ich bei Viktor im www.olkhonpark.ru für 200 Rub die Nacht. Bei ihm empfing mich ein graues Eichhörnchen Baby mit großen Knopfaugen und ich war der einzigste Gast. Abends habe ich meine Suppe von der Zeremonie ausgelöffelt und zum Sonnenuntergang mit der Maultrommel gespielt. Hier auf der Insel Olchon ist die Hauptattraktion u.a. der Schamanenfelsen.
So bin ich also hin gelaufen. Viktor hat mir noch für den nächsten Tag eine Bootsfahrt organisiert und mich mit seinem MTB zum Hafen begleitet. Um die heilige Stupa soll man dreimal herum laufen und Wünsche aussprechen.
Danach ging es weiter zum gegenüber liegenden Festlandufer zur heiligen Quelle, deren Wasser gut für Magen und Darm sein soll. Rechts sollen die Frauen und links die Männer davon trinken. Wer mehrmals zum Wasser geht, soll es in einer ungeraden Zahl tun.
Am 1. September ist hier Herbstanfang. Die Hauptsaison ist zu Ende, der Linienverkehr auf dem Baikalsee wird eingestellt. Die Temperaturen verkriechen sich in den Keller zum Winterschlaf. Am 1. Dezember ist Winter- und am 1. März Frühlingsanfang. Wenn die Temperaturen nicht mehr 40 sondern nur noch 20 Grad Minus sind, sprechen die Sibirier bereits vom Frühling.
Ich habe mir noch das nördlichste Ende der Insel Olchon angesehen und das einzige Dorf an der Ostküste. Verabschiedet vom Baikalsee habe ich mich heute Morgen mit einem Bad darin. Nach Irkutsk zurück gefahren bin ich mit dem Bus. Wofür ich sechs Tage gekämpft habe, hat der Busfahrer nur fünf Stunden gebraucht. Zur freudigen Überraschung beiderseits habe ich Sascha und Valentin an der Fähre in der Gegenrichtung noch einmal wieder gesehen.